Der Teufel in Miss Jonas
Von Silvia Szymanski // 20. August 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Erotikfilm, featured, Sexploitation // 3 Kommentare
auch: „Was geschah wirklich mit Miss Jonas?“ / „Was geschah mit Miss September?“
Der Anfang wirft uns mit der nackten Miss Jonas (Christa Free) vor ein Foltertribunal, das die Hinrichtung der sexgierigen Frau beschließt. Leichtbaumöbel, verlebtes Rot, einfache Farbfolienscheinwerfer: So sind auch die anderen Kammern dieses eng begrenzten Weltsegments/sexuellen Boulevardtheaters, ausstaffiert. Isoliert durch Dekorationsstoffe – Teppichböden, Vorhänge, Lammfelle, Bettwäsche – geben sich seine Bewohner leger einander preis.
Sie sehen sich als geilen Bock und unersättliche Schlampe – aber resigniert, permissiv, alle im selben Boot. Dabei ist ihr Sex seicht und unerregt, ungeachtet ihres herausfordernden Redeflusses (Dialoge: Christine Lehnbach). Wie in schlichten, alten Exploitation-Comics, sagen sie kunst- und schamlos ihre Meinungen und Absichten; aus dem manchmal wohltuend banalen Stuss ragt nur zufällig eine etwas raffinierter geschraubte Formulierung. Unbeabsichtigt ziemlich gut ist auch die gemütliche Seniorencafé-Unterhaltungsjazzmusik (Walter Baumgartner), die zum Kaschemmentango und sogar zum Schlangentanz herübersuppt, mit einer schmierigen Wendigkeit, die auch besoffen noch den Weg wüsste. Mit dem plüschigen, angestaubten Ambiente samt orangenem Wandteppich lässt sich auch gut leben. Man guckt das halt so nebenbei, bei einem Gläschen Eifeler Fichtenlikör in seiner überheizten Oma-Wohnung.
„Ich werde dich von meinen duften Kumpels in einen Heilschlaf versetzen lassen“, droht, bzw. lockt der stämmig-knubbelige Henker; seine „Kumpels“ – maskierte Folterer – sehen ihm figürlich ziemlich ähnlich. Miss Jonas ist das gängige Schönheitsideal aber schnuppe. „Von allen Kumpels?“ freut sie sich, mit dünn gespielter, atemloser Lüsternheit. „Fein! Ich hoffe, in der Hölle ist es bumsfidel! Quälen Sie mich, bestrafen Sie mich, ich bin zu allem bereit. Ja, ich bin geil! Ich bin eine Nymphomanin.“
„Brav, mein Kind“, quittiert das der „Vollzugsbeamte“.
So was entlastet einen schon. Zu meinem Befremden sehe ich (wer immer das auch ist) hier auch die sexuellen Schläge gern. Vielleicht liegt es am Sound. Das schweift jetzt hier zwar ab, aber als ich vor einiger Zeit in Merkstein spazieren ging, hörte ich ein Geräusch, das ich zum letzten Mal als Kind in dieser Gegend gehört hatte. Es scheint dort mittlerweile fast ausgestorben zu sein, damals war es Standard, ein übliches Geräusch am Sonntagmorgen, über das ich nicht nachdachte: das Klatschen, wenn jemand sein Kind verhaut. Immer im Bewusstsein, „dass es sich das frägt“. Ich weiß nicht. Ich bin nie geschlagen worden. Da Kinder grundsätzlich auf alles neidisch sind, kommt das jetzt vielleicht davon.
„Leben!“ sagt der weise Teufel Herbert Fux in seiner Gelehrtenstube im Jenseits, „auch so ein schreckliches Wort!“
Sein Büro hat Mist gebaut, Miss Jonas` Sterbedatum irrtümlich vorgezogen, deshalb darf sie noch mal kurz zurück in das schreckliche Wort.
„Die Sexualität ist unsere irdische Erfüllung. Niemand, auch der Teufel nicht, hat das Recht, in die sexuelle Freiheit eines Mädchens einzugreifen. Für die Freiheiten, die ich mir nehme, bin ich bereit, die Hölle in Kauf zu nehmen“, verteidigt sich Miss Jonas pompös, aber zu Recht, mit rauchiger Stimme.
„Die Hölle“, schmunzelt der Teufel süffisant, „die ist auch in Ihnen.“
Ach, diese Esoterik ist so platt und hemdsärmelig, aber leider wahr auf ihre Weise. Allerdings so, als hätte man ein Stück vom Leben total flachgedrückt und reduziert – jedoch nicht aufs Wesentliche, sondern so, dass das Wesentliche fast nicht mehr darin enthalten ist.
Die masochistische Filmbeschauerin kann das als Gespensterspiegel benutzen. Wenn sie mal wieder „das Leben“ verherrlichen möchte, sieht sie hier, was an Inhalt übrig bleibt, wenn man Glauben, Naivität und Überschwang aus dem Wort entfernt.
Zurückversetzt an ihr Kaminfeuer, erinnert sich Miss Jonas… an den sanften Archie mit dem Bäuchlein, der in 70er-Jahre-Manier die Armbanduhr beim Sex anbehält, an Jimmy, Otto und an Carlos…
Nachts ruft der Psycho-Wald. Miss Jonas eilt, nackt wie immer, durch das goldigbraun beleuchtete Dickicht, zum Teufel mit den langen Haaren und der fiesen Maske und dem Pferdefuß. Es regnet, nass wogen ihre Brüste, in weich und lang ausgekosteter Zeitlupe, so dass ein Zuschauer, der darauf steht, dazu vielleicht auch kommen kann; ich denke mal, dass dieser Film hoffentlich auch in Bahnhofskinos lief.
Am nächsten Tag muss Miss Jonas feststellen, dass Kollegin Dorthe (Marianne Dupont) seit Jonas` Beerdigung unverzüglich pietätlos all ihre Liebhaber – oder Freier? – übernommen hat. Lieblingsfreund Carlos ist dabei sogar durch Dorthes Unermüdlichkeit schon zu Tode gekommen. Dorthe hat ihrer Freundin immer die vielen Lover geneidet, die auf Miss Jonas’ kurvige Figur und ihre dreiste Sinnlichkeit abfuhren. Die Rivalität der beiden Frauen ist das große Thema dieses Films. Zugleich aber sind die beiden auch einander hörig.
Leider hat man irgendwann genug. Irgendwann mag man nichts mehr hören von diesem eingeschworenen Club, von Jacques und Otto, Meredith und Dorthe und wie sie alle heißen; man hasst es, dass sie einander so vertraulich bei ihren Vornamen rufen und man beim Zugucken so eng mit ihnen unter einer Decke steckt. Es ist, wie wenn man mit den falschen Leuten trinkt. Ich wurde mal in einer Kneipe in meinem Wohnort von dem niederländischen Hersteller der Hershie-Limonaden und seiner Entourage mit literweise Wodka-Feige abgefüllt, es war – im Nachhinein – ganz schrecklich und sehr ähnlich; die Leute kommen einem zu nah, es ist, als gäbe es nur sie und ihre Interessen und man müsste ihnen den Gefallen tun und unter einem bösen Zauberbann mit ihnen schlafen. Immer tanzen Miss Jonas’ Brüste einem vor der Nase, kann sie sich nicht mal was überziehen? Man fühlt sich, als wäre man schon jahrelang mit ihr verheiratet.
Carlos macht mich grübeln. Figürlich ist er einer jener Leute, denen Filme und Mitmenschen traditionell nur wenig erstrebenswerten Sex zugestehen; Miss Jonas flicht das auch verständnisvoll in ihr Plädoyer in eigener Sache ein: „Jeder Mensch hat das Recht, körperlich glücklich zu sein. Ich habe verhinderten Männern Glück und Liebe gegeben.“
Nun geht Carlos aber mit seiner undankbaren Rolle des „verhinderten Mannes“ so auffällig selbstbewusst und präsent um, dass ich mir schon mal dachte, es könnte sich bei ihm vielleicht um Erwin C. Dietrich, den Regisseur selber, handeln. Der wäre beim Dreh Anfang vierzig gewesen, hm. Vielleicht kann man da ja schon so aussehen, wenn auch bestimmt nicht gerne.
Na, eher nicht; aber ich klebe an dieser Vorstellung, weil in dem Golden Age Porno „The Devil in Miss Jones“, auf den der Titel und ein kleiner Teil der Story anspielen, auch der Regisseur mitspielt; Gerard Damiano spielt in seinem eigenen Film einen depressiven „Geläuterten“, der mürrisch in der Ecke einer schwarzen, existentialistischen Hölle kauert.
Die gleiche Szene, wenn auch viel weniger ernst, gibt es auch am Ende von Miss Jonas (man sieht sie auf dem Artikelbild).
„Hör auf, mich abzutatschen, du lüsterne Metze“, kommt es da gereizt aus Carlos zu Miss Jonas, als sie wieder mit ihm schlafen will, „bilde dir nicht ein, dass deine billigen Mätzchen bei mir noch verfangen. Ich bin geläutert.“
„Wenn du dir nur nicht so eine bombastische Ausdrucksweise zugelegt hättest, hier im Jenseits!“, mault sie, „du hattest so eine nette und umgängliche Art.“
„Tempi passati“, versetzt Carlos unbeirrt prätentiös und hartherzig, „die Hölle hat mich zum Heiligen manipuliert.“
Schweiz 1974, Regie: Erwin C. Dietrich
3 Kommentare zu "Der Teufel in Miss Jonas"
Es liegt mir daran, den in der Kritik geausserten Verdacht, ich hatte selbst die
Rolle des dicklichen Herrn gespielt. Nein, es handelte sich um den Galeriebesitzer
JÜRG CORAY der in vielen meiner Filme mitwirkte.
Übrigens, es gibt eine neue Abtastung und BluvRay als Dopppelfeature mit WAS GESCHAH
WIRKLICH MIT MISS JONAS seit kurzem bei ASCOT ELITE HOME.
Erwin C.Dietrich
Lieber Herr Dietrich,
ich freue mich sehr, dass Sie meinen Text gelesen haben! Irgendwie rechnet man damit seltsamerweise nicht in seinem stillen Kämmerlein. Und super, dass ich jetzt weiß, wer der Mann in dem Film wirklich war, den ich nachhaltig interessant und vor allem interessant eingesetzt finde. Jürg Coray. Ich werde mich nach ihm in Ihren anderen Filmen umschauen. Und das Double-Feature mit „Was geschah wirklich mit Miss Jonas“ sei unseren Lesern hiermit noch mal ausdrücklich ans Herz gelegt.
Beste Aschermittwochsgrüße aus dem Aachener Land,
Silvia
Das man diesem Film eine solche Fülle von Assoziationen aus den Rippen schneiden könnte – das hätte ich seinerzeit nicht gedacht. Wie du diese besonderen Dinge, die ja zweifellos da sind, da liegen, um gegriffen zu werden, es ist mir immer wieder ein Rätsel. Manchmal fürchte ich dann um die Intensität meines Blickes (dessen Intensität ich selbst manchmal beim Filmegucken schon nicht ganz aushalte, wie muss es dir erst ergehen?). Ein weiterer Text für den Ultrakunst-Schrein. Danke.
(Ich befürchte übrigens, dass es sich bei diesem dicken Mann nicht um Erwin C. Dietrich handelt, aber ich kenne nur Videoaufnahmen von ihm aus den 80igern, da sah er allerdings jünger und schlanker aus als dieser Carlos-Darsteller.)